Stellen Sie sich einen Verkehrsunfall vor, wie er jeden Tag zigfach auf deutschen Straßen passiert: An einer Einmündung stößt Ihr Pkw mit einem anderen Wagen zusammen. Niemand wird verletzt, aber es entsteht ein Blechschaden. Möglicherweise war der andere Fahrer unaufmerksam und hat die Vorfahrt missachtet. Warum genau der Unfall passiert ist bleibt aber zunächst unklar.
Sie wenden sich also an die Haftpflichtversicherung des anderen Fahrers und verlangen Ersatz Ihrer Reparaturkosten. Jedoch verweigert die Versicherung die Zahlung. Es sei nicht geklärt, dass der andere Fahrer wirklich Schuld an dem Unfall habe. Dürfen Sie jetzt einen Anwalt beauftragen?
Zur rechtlichen Beratung und Vertretung „darf“ man sich natürlich jederzeit an einen Anwalt wenden. Die Frage ist vielmehr, wann der Gegner verpflichtet ist, die dadurch entstandenen Anwaltskosten zu ersetzen. Für Schadensersatzansprüche (z.B. aus einem Verkehrsunfall) hat sich in der Rechtsprechung folgende Leitlinie herausgebildet: der Gegner muss Anwaltskosten tragen, wenn die Beauftragung eines Anwalts aus Sicht des Geschädigten erforderlich und zweckmäßig ist, um seine Rechte wahrzunehmen. Die Gerichte sind generell großzügig bei der Bewertung, wann diese „Erforderlichkeit“ vorliegt. Ein Verkehrsunfall, bei dem mindestens zwei Fahrzeuge beteiligt sind, wird bereits als so komplex angesehen, dass dort die Beauftragung eines Anwalts regelmäßig erforderlich sein wird. Das gilt umso mehr, wenn wie im obigen Beispiel der genaue Unfallhergang streitig ist.
Muss immer sofort geklagt werden?
Im nächsten Schritt stellt sich die Frage, welche konkrete Tätigkeit eines Rechtsanwalts der Gegner ersetzen muss. Üblicherweise bestehen mehrere Optionen. Ein Anwalt könnte theoretisch sofort Klage erheben. Häufig ist es aber sinnvoll, zunächst in einem außergerichtlichen Schreiben die Forderung beim Gegner geltend zu machen. Auch hierfür entstehen Anwaltskosten, diese sind aber geringer als bei einem Gerichtsprozess. So ist unsere Kanzlei im oben beschriebenen Fall vorgegangen und hat die gegnerische Versicherung in einem Schreiben zur Zahlung aufgefordert. Später ging die Sache trotzdem vor Gericht, wo genau dies unserer Mandantschaft zum Vorwurf gemacht wurde: Das anwaltliche Schreiben sei nicht erforderlich gewesen, weil die Versicherung die Zahlung bereits vorher gegenüber unserer Mandantschaft abgelehnt habe. Diese hätte sofort Klage erheben müssen.
Das Landgericht Regensburg (Urteil vom 20.7.2021 – 23 S 132/20, BeckRS 2021, 59169) hat unserer Mandantschaft Recht gegeben. Obwohl die Versicherung die Zahlung bereits verweigert hatte, sei die erneute Zahlungsaufforderung durch einen Rechtsanwalt mit detaillierter und rechtlich fundierter Begründung erforderlich und zweckmäßig gewesen. Im Ergebnis musste die gegnerische Versicherung die Anwaltskosten tragen.
Fazit: Natürlich muss in jedem Einzelfall entschieden werden, ob und in welchem Umfang die Beauftragung eines Rechtsanwalts erforderlich und zweckmäßig ist. Weil die Rechtsprechung mit diesen Kriterien aber großzügig umgeht, wird dies im Zweifelsfall wohl gerechtfertigt sein. Gern helfen wir Ihnen weiter und prüfen, welches Vorgehen in Ihrer Situation angebracht ist. Wenden Sie sich dafür am besten per E-Mail oder Telefon direkt an unsere Kanzlei.