Kürzlich erschien meine Dissertation „Die Effektivität transnationaler Maßnahmen gegen Menschenhandel“.
Während der Arbeit daran bin ich auch auf recht bemerkenswerte Aspekte zum Thema Gesetzgebung gestoßen. Ein kurzes Beispiel hier hierzu: Die Konvention gegen Menschenhandel des Europarates aus dem Mai 2005 gilt als die erste menschenrechtlich orientierte, rechtlich verbindliche Maßnahme gegen Menschenhandel. In dieser Konvention werden Rechte der Opfer von Menschenhandel festgeschrieben, die eigentlich selbstverständlich sein sollten: Ein Recht auf sichere Unterkunft, psychologische Hilfe oder Zugang zum Rechtssytem zur Geltendmachung von Entschädigung.
Deutschland unterschrieb diese Konvention schon 2005. Damit die Konvention bindend wird, muss sie jedoch ratifiziert, also vom deutschen Gesetzgeber für verbindlich erklärt werden. Das dauerte bis zum Sommer 2012 (!). Ob dieser langen Dauer könnte man meinen, der Bundestag hätte auch genügend Zeit gehabt, sich darüber Gedanken zu machen, was denn im nationalen Recht alles geändert werden muss, damit die Vorgaben der Konvention gegen Menschenhandel auch erfüllt werden. Das tat der Bundestag zunächst auch, indem er im März 2012 eine Sachverständigenanhörung durchführte. Die geladenen Expertinnen und Experten bescheinigten dabei ausnahmslos deutlichen Änderungsbedarf im nationalen Recht, um die Vorgaben der Konvention zu erfüllen.
Soweit, so gut, nun wussten also die Abgeordneten Bescheid, was zu tun wäre.
Nur wenig später kam es jedoch ganz anders: Im Juni 2012 wurde mit der Mehrheit der Regierungsfraktionen die Ratifizierung beschlossen, ohne eine Anpassung des nationalen Rechts vorzunehmen. Der Bundestag folgte damit der Ansicht der Bundesregierung, dass das geltende nationale Recht die Anforderungen aus der Konvention erfülle und folglich kein Anpassungsbedarf bestehe. Drei Monate nach der Expertenanhörung wurde also das genaue Gegenteil von dem beschlossen, was die Expertinnen und Experten dargelegt hatten. Traurig ist nicht nur das Ergebnis, sondern auch die Art und Weise, wie über ein solches für die betroffenen Menschen wichtiges Gesetzesvorhaben entschieden wurde: Beratung und Abstimmung im Bundestag fanden während des Halbfinalspiels der Fußball-Europameisterschaft zwischen Deutschland und Italien statt. Deshalb nahmen daran ganze 25 der 620 Abgeordneten teil…
Ob dieser Respektlosigkeit gegenüber dem Völkerrecht und den Menschenrechten der Opfer kann man sich nur an ein (fälschlicherweise) Bismarck zugeschriebenem Zitat halten: „Gesetze sind wie Würste, man sollte besser nicht dabei sein, wie sie gemacht werden.“ Zum Schluss aber doch noch ein kleiner Lichtblick: Für findige Juristen gibt des Mittel und Wege, die Rechte aus der Konvention dennoch durchzusetzen. Aber warum müssen wir in mühevoller Kleinarbeit reparieren, was ein verantwortungsbewusster Gesetzgeber einfach erledigen hätte können und müssen?